Im Kapitel „Umstieg-Alternativen ermöglichen Verkehrswende“ wurden 2016 - ausführlich und verständlich - bahntechnische Alternativen zu den mit Stuttgart 21 verbundenen Planungen im Konzept UMSTIEG21 dargestellt:
Auch 5 Jahre später gelten die meisten dieser damals geforderten Ziele weiterhin. Mehrere Punkte von UMSTIEG21 haben inzwischen sogar Eingang in die Planungen von Land, Verband Region Stuttgart und auch bei der DB gefunden.
Die Neubaustrecke (NBS) zwischen Wendlingen und Ulm wird mehrere Jahre vor der geplanten Inbetriebnahme von S21 fertig. Wie im Umstiegskonzept erläutert, ist damit eine deutliche Verkürzung der Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm von aktuell fast einer Stunde auf unter 40 Minuten möglich. Um die milliardenschweren Investitionen in die Strecke zu nutzen und die notwendige Befahrung der vielen und langen Tunnel zu gewährleisten, wird die DB ab dem Fahrplanwechsel (Ende) 2022 planmäßige schnelle Züge zwischen dem Stuttgarter Kopfbahnhof und Ulm über die NBS verkehren lassen 1.
Ein besserer Nachweis für das Funktionieren der UMSTIEG21-Alternative ist schwer vorstellbar!
Grundlage für diese Anbindung ist die sogenannte „Güterzugverbindungskurve“ zwischen der Bestandsstrecke der Neckartalbahn in Wendlingen und dem Albvorlandtunnel der NBS. Diese Kurve bildete eine wichtige Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsrechnungen. Ob aber dort jemals Güterzüge fahren, ist fraglich. Entsprechend ist diese Verbindung nur eingleisig geplant. Züge in Fahrtrichtung Ulm werden auf der Neckartalbahn das Gegengleis kreuzen und auf der NBS sogar mehrere Kilometer lang auf dem Gegengleis fahren müssen. Zur deutlichen Leistungssteigerung wäre deshalb eine zweigleisige und kreuzungsfreie Verbindung erforderlich. Dass derartige „Erweiterungen“ sehr sinnvoll und auch machbar sind, zeigen die durch DB und Land eingebrachten Planänderungen für die Rohrer Kurve und für die Große Wendlinger Kurve.
Die Standardknoten eines integralen Taktfahrplans sind jeweils auf die volle und halbe Stunde ausgerichtet (0/30). Es ist aber auch üblich, Knoten mit den Taktzeiten 15/45 einzuplanen, falls die Fahrzeiten auf den angrenzenden Strecken das erfordern. Da sowohl Mannheim als auch Ulm in den Planungen für den Deutschlandtakt mit 0/30 enthalten sind, wäre eine Einordnung von Stuttgart als 15/45-Knoten mit der oben beschriebenen Anbindung gut machbar, denn sowohl die Fahrzeiten zwischen Mannheim und Stuttgart, als auch zwischen Stuttgart und Ulm liegen dann deutlich unter 45 Minuten, so dass in allen drei Knoten ausreichend Haltezeit geplant werden kann. Zusätzliche Halte in Vaihingen/Enz und Wendlingen mit dadurch verbesserten Anschlussmöglichkeiten erscheinen machbar. Die resultierende Reisezeit zwischen Mannheim und Ulm von knapp anderthalb Stunden ist immer noch deutlich kürzer als mit einem Pkw je erreichbar.
Aktuell untersucht die DB, ob mit großem Aufwand (lange Tunnel, höhere Geschwindigkeit) nicht nur Mannheim und Ulm, sondern auch Stuttgart als 0/30-Knoten eingerichtet werden kann. Dafür sind erneut viele Milliarden zu investieren und um die Fahrzeit zwischen den Knoten unter 30 Minuten zu bekommen, würden dann Fahrzeuge und Strecken dauerhaft extrem belastet. Der Fahrplan hätte keine Reserven für ausreichende Haltezeiten und zum Verspätungsabbau. Ein stabiler Deutschlandtakt sollte deshalb ohne ein solch extremes und klimaschädigendes Hochgeschwindigkeitsstreben erreicht werden.
Für den VRS untersuchte Verbindungen der S-Bahn von den Fildern ins Neckartal (T ist der „Köngen-Turn“)
Quelle: VWI Verkehrswissenschaftliches Institut Stuttgart GmbH, Hintergrundbild © OpenStreetMap-Mitwirkende
Mit deutlichen Worten und eindrucksvollen Zahlen hat UMSTIEG21 einen S-Bahn-Ringschluss zwischen den bestehenden Linien auf den Fildern und dem Neckartal gefordert und mögliche Trassierungen vorgestellt. Dies hat mit dazu beigetragen, dass in den betroffenen Gemeinden (z.B. Leinfelden-Echterdingen, Filderstadt und Wendlingen) in den letzten Jahren sehr nachdrücklich ein Ausbau der S-Bahn gefordert wird. Dem kann sich der zuständige Verband Region Stuttgart (VRS) immer weniger entziehen und so wurde ein entsprechendes Gutachten beauftragt. Das Ergebnis zeigt leider für alle untersuchten Varianten nur eine unzureichende Wirtschaftlichkeit, mit der sich die kommunalen Gremien aber nicht zufriedengeben wollen. Eine der am besten bewerteten Trassen ist der von UMSTIEG21 so benannte „Köngen-Turn“, der im neuen – offiziellen – Gutachten des VRS übrigens unter genau diesem Namen beschrieben wird 2.
Die offiziellen Untersuchungen klammern allerdings eine Nutzung der neu gebauten Strecke vom Flughafen nach Wendlingen (PFA 1.3a und 1.4) für die S-Bahn aus. Wenn aber der Fildertunnel für Güterlogistik umgenutzt wird und die Züge von der NBS über die Bestandsstrecke wie oben beschrieben in den Kopfbahnhof geführt werden, dann kann die Strecke entlang der Autobahn A8 zumindest teilweise für einen S-Bahn-Ringschluss genutzt werden – ideal ergänzt durch den „Köngen-Turn“. Der Einsatz von Metropolexpresszügen zwischen dem Flughafen und Merklingen/Ulm sowie Reutlingen/Tübingen wäre direkt bzw. über die Wendlinger Kurve nach Fertigstellung der Trasse entlang der A8 möglich – dann allerdings ohne einen Halt in Wendlingen.
Den landschaftlich äußerst beeindruckenden innerstädtischen Teil der Gäubahn hat die DB zwar an die Stadt Stuttgart verkauft, inzwischen hat sich aber selbst bei den Projektpartnern von S21 die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Strecke als Bahnlinie erhalten bleiben muss.
Neben der unveränderten Zuführung der Gäubahn in den Kopfbahnhof wird die Panoramabahn noch für viele Jahre bei Störungen auf der S-Bahn-Stammstrecke die einzige Möglichkeit bleiben, den Verkehr zwischen der Innenstadt und Vaihingen/Böblingen/Fildern leistungsstark umzuleiten. Immer wieder wird die Panoramabahn als zweite Stammstrecke der S-Bahn ins Gespräch gebracht – dann aber mit einigen zusätzlichen Stationen auf immerhin 20 km Strecke.
Grafik: Verkehrsclub Deutschland, Kreisverband Stuttgart e. V.
Tangentiale S-Bahn-Linien, die die Nordstrecken (von S4, S5, S6) mit den südlichen Ästen (von S1, S2, S3) verbinden, sind dann möglich. Während der Sanierung der Stammstrecke in den Sommerferien 2021 bis 2023 wird dies als Ersatzfahrplan demonstriert. Der Erhalt dieser wichtigen Strecke ist inzwischen nicht mehr nur ein Teil des UMSTIEG21-Konzepts, sondern wurde 2021 auf Landesebene im Koalitionsvertrag festgeschrieben, allerdings im Zusammenhang mit der Variante einer unterirdischen Ergänzungsstation, die jedoch aus klimapolitischen Gründen ebenso abwegig ist und sich bei Erhalt des Kopfbahnhofs erübrigen würde. 3
Um den auch zur Rechtfertigung von S21 dienenden Engpass zwischen Bad Cannstatt und dem Kopfbahnhof zu lösen, war im UMSTIEG-Konzept eine neue Neckarbrücke für die S-Bahn mit Weiterführung durch den ersten Rosensteintunnel vorgesehen.
Inzwischen ist die neue Brücke für S21 gebaut, auf die zuerst die S-Bahn verlegt werden soll, um die neue Station Mittnachtstraße anzubinden. Dann stehen alle 4 Gleise auf der Rosenstein-Eisenbahnbrücke den Regional- und Fernverkehrszügen zur Verfügung und der Engpass ist beseitigt. Damit ist keine weitere Brücke erforderlich und der alte Rosensteintunnel steht für eine andere Nutzung zur Verfügung.
Neben der S-Bahn ist auf der S21-Neckarbrücke noch viel Platz verfügbar, der nicht für den Bahnbetrieb benötigt wird. Dort bietet es sich an, einen Radschnellweg einzurichten, der getrennt von den Fußgängern – die bleiben direkt über‘m Neckar auf dem unter die Brücke gehängten Steg – Bad Cannstatt mit dem Rosensteinpark verbindet. Die S21-Lösung mit dem gemeinsam von Fußgängern und Radfahrern genutzten Steg erfüllt die Kriterien für einen Radschnellweg nicht.
Nach Verlegung der S-Bahn auf die neue Brücke sind 4 Gleise für Fern- und Regionalverkehr verfügbar
Bild: Ulli Fetzer
Für eine Erweiterung der Zulaufstrecken aus dem Norden (Zuffenhausen) wurde im Konzept UMSTIEG21 die Möglichkeit eines zusätzlichen Gleispaares beispielhaft beschrieben. Von der DB und dem Bundesverkehrsministerium wurde nun ein neuer langer Nordtunnel zwischen Feuerbach und der Neubaustrecke nach Mannheim vorgeschlagen. Es wird aber immer wieder betont, dass dafür nicht der Engpass der Zuläufe entscheidend sei, sondern das Ziel einer Fahrzeitverkürzung zwischen Mannheim und Stuttgart auf unter 30 Minuten. Eine solche würde bei S21 angesichts der durch die geringe Kapazität bedingten Störanfälligkeit nicht stabil erreicht werden können. Derartige Hochgeschwindigkeitsziele werden in der Güterabwägung mit Klimaaspekten mit UMSTIEG21 nicht verfolgt, so dass der lange Nordtunnel entfallen kann. Im Bahngelände zwischen Zuffenhausen und dem Hauptbahnhof ist für ein 5. und 6. Gleis des Nordzulaufes ausreichend Platz vorhanden.
Neben dem Erhalt bzw. Wiederaufbau des oberirdischen Kopfbahnhofs ist im Konzept UMSTIEG21 auch der Weiterbetrieb des jetzigen Abstellbahnhofs am Rosensteinpark enthalten. Gegenüber den S21-Planungen für Abstellanlagen in Untertürkheim ergeben sich damit wesentliche Vorteile. Denn beide Bahnhofsteile bleiben so wie bisher leistungsstark mit 5 Gleisen in der mittleren Ebene, also kreuzungsfrei gegenüber den Zuläufen von Feuerbach und Bad Cannstatt, verbunden.
Für Abstellungen und Zuführungen sind dann keine längeren Zugfahrten durch den Ober-/Untertürkheimer Tunnel bzw. über Bad Cannstatt erforderlich, sondern nur kurze Rangierfahrten. Das sind betriebliche und auch klimapolitische Pluspunkte. Die bei der Abstellung zweckmäßigen Wartungsarbeiten können weiterhin erledigt werden. Wie im städtebaulichen Teil des Umstiegskonzepts illustriert, kann die benötigte Fläche des Abstellbahnhofes auf etwa die Hälfte der jetzigen Größe reduziert werden. Er bietet trotzdem mehr Kapazität, als die in Untertürkheim geplante Anlage.
Auf die halbe Fläche reduzierter Abstellbahnhof und schnell realisierbare Erweiterung des Rosensteinparks
Durch den Verbleib des Abstellbahnhofs am Hauptbahnhof kann auch der Güterbahnhof in Untertürkheim ein Güterbahnhof bleiben und als Güterverteilzentrum zwischen Schiene und Innenstadt in das vorgeschlagene System einer unterirdischen City-Logistik inte-griert werden. Standen früher auf diesem Gelände häufig nur Ganzzüge zur Zwischenabstellung, so kann, ja sollte ein innerstädtischer Güterbahnhof die Verladung und Lagerung von Paletten für die City-Logistik unterstützen – ähnlich der Anlagen für die Lkw-Be- und -Entladung an der Autobahn. Für die notwendigen Hallen und die neben den Gleisen anzuordnenden Laderampen ist in Untertürkheim ausreichend Platz vorhanden.
1 bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/uploads/tx_smedianews/20201015_PI_Feste_Fahrbahn_NBS_Halbezeit.pdf
2 gecms.region-stuttgart.org/Download.aspx?id=116440 - S. 13. Idee und Name von Dipl.-Ing. Klaus Gebhard
3 https://www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/dateien/PDF/210506_Koalitionsvertrag_2021-2026.pdf - S.124